Kolumnen

Themen von Menschen mit Handicaps werden in der Gesellschaft häufig nur am Rande behandelt. Nicht selten sagen Menschen, die noch nicht mit behinderungspolitischen Themen konfrontiert worden sind, dass sie das alles nicht gewusst hätten. Um dies zu verändern, ist bis Ende 2019 einmal monatlich eine Kolumne im Pinneberger Tageblatt zu verschiedenen Themen erschienen. An dieser Stelle veröffentliche ich die Texte.


Kolumne 16

Es lebe der Vorgang

 

Bekanntlich ist bald Weihnachten und man kann sich etwas wünschen. Wenn man Menschen mit Behinderungen nach ihren Wünschen fragt, dann sind sie sehr vielschichtig und unterscheiden sich in Nichts zu Menschen ohne Handicaps. Fragt man ein wenig genauer nach, sind die Wünsche aber doch spezifischer. Menschen mit psychischer Erkrankung wünschen sich einen 24-Stunden-Notdienst. Menschen mit körperlicher Einschränkung wünschen sich eine barrierefreie Umwelt im Nahverkehr und im öffentlichen Raum. Menschen mit verschiedenen Behinderungen wünschen sich eine bessere ärztliche Versorgung und passenderen Wohnraum. Diese Liste ließe sich noch lange fortführen. Alle eint aber ein Wunsch. Sie möchten endlich die Hilfe bekommen, die sie brauchen, ohne den notwendigen Antragsirrsinn.

 

Für unterstützende Hilfen zur Ausübung einer Arbeit ist ein Antrag bei der Arbeitsagentur notwendig. Für die Erlangung eines Behindertenausweises muss ein Antrag beim Amt für soziale Dienste gestellt werden. Wohngeldanträge müssen bei der Kommune ausgefüllt werden. Hilfen aus der Eingliederungshilfe bekommt man bei der Kreisverwaltung und Hilfsmittel, wie z.B. Rollstühle, bei der Krankenkasse. Wenn auch noch Pflege hinzukommt, ist ein Antrag bei der Pflegekasse notwendig. Und auch dies ist keine vollständige Aufzählung.

 

Menschen mit Handicaps haben viel damit zu tun, ihren Tagesablauf gut zu organisieren. Wir bürden ihnen aber zusätzliche Aufgaben auf. Sogar Menschen ohne Behinderung hätten damit Schwierigkeiten und sind häufig froh, damit nichts zu tun zu haben.

 

Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) hat man versucht, etwas an dieser Situation zu verbessern und ist an den Interessen der einzelnen Zuständigkeiten gescheitert. Die Einführung einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) ist zwar ein richtiger Schritt, löst aber den Zuständigkeits-Dschungel nicht auf. Der Gesetzgeber sollte den Mut haben, die EUTB als echte Beratung und Vertretungsstruktur für Menschen mit Behinderungen aufzubauen. Dann könnten die Personen, die sich im System auskennen, für Betroffene die richtigen Anträge an die notwendigen Träger stellen. Natürlich geht das nur mit einem massiven Personalaufbau in der EUTB und kostet Geld. Es ist aber immer noch besser, als die Gruppe unserer Gesellschaft, die um eine inklusive Gesellschaft kämpfen muss, auch noch zusätzlich mit einem Antragsmarathon zu belasten. Die Bundes- und die Landesregierungen sind aufgefordert, endlich eine Regelung herbeizuführen, die dem Grundgesetz entspricht. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt werden. Da ja bald Weihnachten ist, wird man wohl noch einen Wunsch haben dürfen.

 

Dies ist die letzte Kolumne Kreis Inklusiv. Ich danke für Ihr Interesse und Ihre Anregungen und wünsche mir eine auch für das Thema Inklusion engagierte Gesellschaft. Jeder von uns kann etwas in seinem Umfeld dazu beitragen. Den Lesern wünsche ich eine gesegnete Weihnachtszeit und einen guten Rutsch in das Jahr 2020.


Kolumne 15

Das Bundesteilhabegesetz zündet die dritte Stufe

 

Seit einigen Jahren kursiert der Begriff „Bundesteilhabegesetz“ - kurz BTHG - in den Medien. Bei diesem Gesetz geht es um mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen und um mehr Möglichkeiten einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wie viele Gesetze klingt auch das BTHG zunächst einmal schon allein wegen seines Namens sehr sperrig. Wenn man sich dann näher damit befasst, merkt man, es ist auch sehr sperrig.

  

Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit als Beauftragter für Menschen mit Behinderungen im Kreis Pinneberg bin ich in den Prozess der Umsetzung des BTHG in der Kreisverwaltung eingebunden. In unmittelbarer Zukunft, nämlich am ersten Januar 2020,  greift die dritte Reformstufe des BTHG. Diese dritte Stufe gilt sicherlich bei vielen Beteiligten als das Herzstück des BTHG.

 

Die Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorschriften führt zu erheblichen Veränderungen bei den Leistungen, beim Zugang zu Leistungen und für die Verfahren einer Bewilligung. Das Recht der Eingliederungshilfe, also die finanzielle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen, wird aus der Sozialhilfe herausgelöst und als modernes eigenständiges Teilhaberecht etabliert. Die Leistungen für Menschen mit Behinderungen sollen personenzentriert ausgerichtet werden und sich am persönlichen Bedarf des Einzelnen orientieren.

 

Konkret bedeutet es, dass Menschen mit Behinderungen ihre finanzielle Bedürftigkeit nicht mehr nachweisen müssen, um finanzielle Unterstützung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu bekommen. Einkommens- und Vermögensfreigrenzen werden schrittweise erhöht. Somit können auch Menschen mit Handicaps sparen, um sich etwas anschaffen oder für die Rente zurücklegen zu können. Auch die Pflicht von Angehörigen und Ehepartnern zur finanziellen Unterstützung ist neu geregelt worden. In vielen Fällen besteht für volljährige Familienangehörige mit Behinderungen keine Pflicht zur Beteiligung mehr, wenn Eingliederungshilfe beantragt wird. Somit werden als Beispiel zukünftig auch unabhängig von der Wohnform Hilfen gewährt. Man kann sich kaum vorstellen, dass dies bisher noch nicht so geregelt war.

 

Ganz wichtig empfinde ich eine geplante Vereinfachung einer Antragstellung. Leistungen sollen „wie aus einer Hand“ erbracht werden. Ein einziger Antrag soll ausreichen, um alle benötigten Leistungen von verschiedenen Trägern zu erhalten. Kranken-, Rentenversicherung und Eingliederungshilfe sollen also zukünftig im Hintergrund ihre Zuständigkeiten klären. Der Mensch mit Behinderungen soll davon nichts merken. Es hört sich sehr gut an, die Praxis wird zeigen, ob es 1 zu 1 umgesetzt wird. Die Erfahrung der vergangenen Jahre lässt einen daran zweifeln.

 

Zur Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechtes gehört auch, dass Menschen mit Behinderungen sich vor der Antragstellung unabhängig beraten lassen können. Sie müssen wissen, welche Unterstützung ihnen jeweils zusteht. Das BTHG regelt auch die Finanzierung einer „Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung“, kurz EUTB. Im Kreis Pinneberg hat eine Beratungsstelle im vergangenen Jahr in Elmshorn ihre Türen geöffnet (Hamburger Straße 160). Hier können sich Menschen mit Behinderungen beraten lassen, bevor sie Leistungen beantragen und klären, wie sie solche Leistungen in Anspruch nehmen können.

 

Sehr bedeutsam für Betroffene ist die Einführung eines Budgets für Arbeit. Damit soll sichergestellt werden, dass behinderungsbedingte Nachteile bei der Ausübung von Berufen ausgeglichen werden können. Dazu zählen zum Beispiel Arbeitsassistenzen. Neben dem Wohnen stellt Arbeit einen wesentlichen Stützpfeiler für eine gelungene Inklusion von Menschen mit Behinderungen dar und ist deshalb so wichtig für Menschen mit Handicaps.

 

An dieser Stelle kann nur ein kleiner Ausschnitt aus den gesetzlichen Veränderungen dargestellt werden. Erkennbar ist bereits jetzt, dass die gute Absicht hinter dem Gesetz leider nicht vollständig und gut im Regelwerk eingeflossen ist. Es gibt bereits jetzt und auch in Zukunft Anpassungsbedarf, weil die Realität die Theorie immer wieder einholt. Interesse an dem Thema sollten alle Menschen haben, denn 86 % der Menschen mit Behinderungen werden erst im Laufe ihres Lebens von einer Behinderung betroffen, nur bei 14 % besteht eine Behinderung bereits ab der Geburt.

 

Die Betroffenen versprechen sich viel vom neuen BTHG. Sorgen wir dafür, dass sie nicht enttäuscht werden.

  


Kolumne 14

Vom Umgang mit Älteren und Menschen mit Behinderungen

 

Vor kurzem erreichte mich die Nachricht einer älteren Dame, die vom teils schlechten Verhalten gegenüber Älteren und Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit berichtete. Ihr persönlich war dies in einem Laden in Pinneberg passiert. Sie wurde von einer Verkäuferin zurechtgewiesen, dass der Laden nicht groß genug sei für ihr Elektromobil. Die ältere Dame berichtete, dass dies schlichtweg nicht stimmte. Außerdem sei sie – wie viele andere auch – auf das Elektromobil angewiesen, um selbständig einkaufen gehen zu können.

 

Auch von anderen Menschen mit Behinderungen, die mit Elektromobil unterwegs sind, habe sie solche Erfahrungen gehört. Die ältere Dame berichtete, dass sie der raue Ton und der teils unfreundliche Umgang mit Älteren und Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit oft störe. Dabei betonte sie, dass es natürlich auch gute Beispiele gäbe, stellte jedoch gleichzeitig fest, dass oftmals Menschen mit Behinderungen anderen Behinderten helfen.

 

Ich frage mich, wie es immer wieder zu solchen Situationen kommen kann. Dabei will ich gar nicht immer auf schlechte Absichten schließen. Oftmals ist Unsicherheit im Umgang mit Menschen mit Handicap im Spiel. Oder der Wille zu helfen wird „falsch“ rübergebracht.

 

Ich glaube, es ist in erster Linie wichtig, Menschen mit Behinderungen und Ältere nicht auf die Behinderung oder Altersbeschwerden zu reduzieren. Diese sind nur ein Merkmal von vielen. Und natürlich gelten die gleichen Umgangs- und Höflichkeitsformen wie im Kontakt mit nichtbehinderten Menschen.

 

Der soziale Kontakt zu Menschen mit Behinderungen sollte sich also nicht von anderen sozialen Kontakten unterscheiden. Eine Zurechtweisung in der Öffentlichkeit wünscht sich niemand - zumal, wenn sie ungerechtfertigt ist. Dies ist unangenehm und hinterlässt ein schlechtes Gefühl. Es vermittelt, dass jemand stört und schränkt diesen Menschen so in seiner Selbständigkeit ein.

 

Ich finde es aber sehr wichtig, dass wir Inklusion im Alltag leben, ein gutes Miteinander fördern und unsere Mitmenschen in ihrer Selbständigkeit unterstützen. Dazu kann jeder etwas beitragen. Einer Dame mit Elektromobil kann durch eine Verkäuferin/ein Verkäufer Hilfe beim Einkauf angeboten werden, ohne dabei aufdringlich zu sein. So ist ein schneller und reibungsloser Einkauf möglich und die Dame kann selbstbestimmt und mit einem guten Gefühl nach Hause fahren. Einem älteren Mitbürger können wir die Tür aufhalten oder im Bus einen Platz freimachen. Früher nannte man das gute Erziehung.

 

Jeder sollte dem Anderen mit Respekt begegnen. Hilfe im Alltag und ein freundliches Miteinander geben allen ein gutes Gefühl. Und vor allem den Menschen mit Behinderungen oder älteren Menschen die Gewissheit, das tägliche Leben meistern, rausgehen und „dabei sein“ zu können. Eine helfende Hand, ein freundliches Wort und Geduld im Umgang mit anderen sind kleine Gesten, die eine große Wirkung haben.


Kolumne 13

Vom Förderzentrum in den Arbeitsmarkt

 

Ich verfolge seit einiger Zeit, dass in der Beruflichen Schule Elmshorn ein inklusiver Arbeitsplatz geschaffen werden soll. Ein ehemaliger Förderschüler bereitet sich über eine individuelle betriebliche Qualifizierung auf die Arbeit im Hausmeister-Team vor. Nach einem positiven Abschluss soll er übernommen werden.

 

Ein tolles Beispiel für Inklusion im Arbeitsleben, das aber so leider viel zu selten passiert. Für Schüler mit besonderem Förderbedarf scheint ein Übergang von einer Schule in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen vorprogrammiert. Der Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist möglich, aber oft auch schwierig.

 

Das Modellprojekt Übergang Schule-Beruf (ÜSB) hilft Schülern aus Förderzentren bei ihrer Berufswahl. Sie werden dabei unterstützt, den richtigen Einstieg in die Arbeits- und Berufswelt zu schaffen. Eine wesentliche Voraussetzung für gelungene Inklusion. Wer teilnehmen möchte, erhält beruflichen Unterricht und erlebt bei verschiedenen Praktika, was Arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt bedeutet. Die Schüler und Schülerinnen entwickeln gemeinsam mit ihren Eltern ihre Berufsvorstellungen. So ist es möglich, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

 

Im Kreis Pinneberg beteiligen sich die Raboisenschule in Elmshorn und die Heideweg-Schule in Appen-Etz, beides Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, an diesem Projekt. Weitere Projektpartner sind der Integrationsfachdienst, die Agentur für Arbeit Elmshorn und die Kreisverwaltung Pinneberg. Initiiert wurde das Modellprojekt in Schleswig-Holstein 2011 vom Sozialministerium, dem Bildungsministerium sowie der Regionaldirektion Nord der Agentur für Arbeit.

 

Die Projektkoordination liegt bei der Kreisverwaltung und wurde in den letzten drei Jahren besonders intensiv betrieben. Mit den anderen Akteuren zusammen konnten beachtliche Erfolge erarbeitet werden. Der oben genannte inklusive Arbeitsplatz an der Beruflichen Schule Elmshorn ist nur ein Erfolg von vielen des Projektes. Denn das Projekt ÜSB hat sich für die Schaffung von inklusiven Arbeitsplätzen in der Kreisverwaltung eingesetzt. Mit Erfolg, denn insgesamt fünf inklusive Stellen sollen in den kommenden Jahren geschaffen werden. Auch mit anderen kommunalen Arbeitgebern bestand ein intensiver Austausch. Daher konnten viele Projekt-Teilnehmer Praktika in der Verwaltung absolvieren. Ein weiterer Erfolg des Projektes ist die inklusive Berufsmesse im Kreishaus im vergangenen Jahr mit Firmen aus dem Kreis und über 100 Besuchern - vielleicht haben Sie davon gelesen.

 

Leider muss bei diesem erfolgreichen Projekt nun auf die Bremse getreten werden. Es wird zwar zunächst fortgesetzt, allerdings mit stark gekürzten Mitteln, sodass die Kreisverwaltung die Koordinationsstelle nicht weiter besetzen konnte. Das bedeutet, dass das Projekt zwar an den Schulen fortgeführt wird, aber die intensive Vernetzung der Projektakteure und vor allem das Vorantreiben übergreifender Themen wegfallen. Große Events wie die inklusive Berufsmesse des vergangenen Jahres wird es auch nicht mehr geben.

 

In den letzten Jahren hat das Projekt „Übergang Schule-Beruf“ viele Förderschüler beim Übergang in das Arbeitsleben unterstützt. Dabei wurden auch viele Schüler und Schülerinnen in Maßnahmen des ersten Arbeitsmarktes vermittelt - in diesem Schuljahr über 57 Prozent der Abgänger. Der Kreis hat das Projekt immer tatkräftig unterstützt. Zusätzliche Gelder aus dem Kreishaushalt könnten zukünftig dazu beitragen, die Koordinationsstelle wieder zu besetzen und das Projekt so intensiv wie in den vergangenen Jahren voranzutreiben zu können.


Kolumne 12

 

Reisen von Menschen mit Handicaps

 

Gehören Sie zu den Menschen, die mit Bahn und Flugzeug in den Urlaub fahren? Dann sind Sie sicherlich auch schon einmal Opfer von Ausfällen und Verspätungen geworden. Was für Menschen ohne Behinderungen oftmals ein Ärgernis ist, stellt für Menschen mit Behinderungen Barrieren dar, die sie kaum bewältigen können.

  

Neben der eigenen Wohnung und einem gesicherten Arbeitsplatz stellt ein funktionierendes Mobilitätsangebot für Menschen mit Behinderungen eine wesentliche Bedingung für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. So wie alle anderen auch, ist eine Urlaubsreise oftmals ein Höhepunkt im Jahresverlauf. Für Menschen mit Handicaps stellt die Entscheidung für eine Reise allerdings nur den Anfangspunkt für eine detaillierte Planung dar. Ein durch Verspätung verpasster Anschlusszug ist dann schon häufig eine Herausforderung, die man kaum bewältigen kann. So kann zum Beispiel der neue Anschlusszug keine Rollstühle transportieren, er fährt ausgerechnet an dem Tag in umgekehrter Wagenreihung oder der Zug fährt auf einem Bahngleis ab, zu dem es keinen Aufzug gibt oder vieles mehr.

  

Am Zielort angekommen, ist ein Durchatmen noch nicht angesagt. Die Baustelle am Bahnhof ist, wie viele andere Baustellen auch, leider so ausgelegt, dass eine Nutzung des Gehweges mit einem Rollstuhl wegen der Breite nicht möglich ist. Im Hotel angekommen, stellt sich heraus, dass der Frühstücksraum, wegen des tollen Ausblicks, im fünften Obergeschoss angesiedelt wurde, aber leider ohne Fahrstuhlausstattung auskommen muss. Der Toilettenbesuch in der Behindertentoilette entpuppt sich als Abstellkammer für Putzmittel und -geräte, weil es in dem Hotel ansonsten keine Abstellmöglichkeiten für diese Geräte gibt und auch gedacht wird, die Toilette würde sowieso nur selten gebraucht.

 

Man kommt dann häufig auf die Idee, dass eine Ferienwohnung eine bessere Alternative darstellt. Sie hat mehr Platz und man kann seine Intimsphäre besser schützen. Bei der Auswahl achtet man natürlich aus das Vorhandensein einen Aufzuges, muss am Zielort aber feststellen, dass dieser auf halber Treppe an- und abfährt.

  

Auch Flugreisen sind nicht so komfortabel, wie es den ersten Anschein hat. Spätestens dann, wenn am Zielflughafen der benötigte, im Gepäckbereich beförderte Rollstuhl mit Schäden ankommt, weiß man, wovon ich spreche. Flugreisenden kann man nur ausdrücklich empfehlen, den Service für Menschen mit Handicaps am jeweiligen Flughafen in Anspruch zu nehmen und vor Reiseantritt zu buchen, um viele Hürden im Ablauf eines Flughafens nicht allein meistern zu müssen. Der angebotene Service ist nicht überall gleich gut und man braucht viel Zeit, insbesondere zum Umsteigen. Es hat aber den entscheidenden Vorteil, dass man sein Gate erreicht, auch wenn man sich nicht auskennt.

  

In diesem Zusammenhang wäre die geplante Einstellung der Mobilitätsservicezentrale der Deutschen Bahn für alle Bahnanbieter eine Katastrophe für Menschen mit Behinderungen. Glücklicherweise hat die Bahn nach vielen Protesten der Behindertenverbände den Service wieder angeboten. Wenn rund 16% der Bevölkerung eine Behinderung haben, fragt man sich, wieso wir sie auf Reisen so selten sehen. Die Beschreibung in dieser Kolumne macht deutlich, eine Reise zu unternehmen, ist für Menschen mit Behinderungen ein echtes Abenteuer und nicht jede und jeder hat den Mut und die Kraft dazu.

 

Es gibt eine Vielzahl von Hindernissen für Menschen mit Behinderungen, wenn sie das bestehende Mobilitätsangebot annehmen, auch viele, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Hilfreich ist dann immer eine helfende Hand, die sich anbietet. Gehen Sie auf Menschen mit Behinderungen zu und fragen, ob sie helfen können. Das ist der erste Schritt, damit Menschen mit Handicaps gelassener eine Reise antreten können, weil man sich auf fremde Hilfe verlassen kann. Für die Helfenden ist es eine Kleinigkeit, für die Betroffenen eine große Unterstützung.


Kolumne 11

Medizinische Versorgung

 

Haben sie sich schon einmal gefragt, wie sie ihren Arzt aufsuchen können, wenn sie einen Beinbruch haben und es keinen Aufzug gibt? Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie sie bei ihrem Arzt die Toilette aufsuchen sollen, wenn sie mit einem Rollator unterwegs sind und alles ist viel zu eng? Haben sie sich schon einmal geärgert, dass sie zu einer Vielzahl von Ärzten gehen müssen, um eine richtige Diagnose zu bekommen? Das was bei ihnen Ärger verursacht, stellt für Menschen mit Behinderungen eine unüberwindbare Barriere dar.

 

In Deutschland gilt das Recht der freien Arztwahl. Menschen mit Behinderungen haben dieses Recht nicht. Sie können nur zu den Ärzten, die auch barrierefrei erreichbar sind. Mich erreichte einmal ein Hilferuf einer älteren Dame, deren Mann von der Krankenkasse zu einer Vertrauensärztin geschickt wurde. Der Mann war auf einen Rollstuhl angewiesen und konnte aufgrund seines Gewichtes auch nicht von einzelnen Personen getragen werden. Die von der Krankenkasse vorgeschriebene Vertrauensärztin residierte im Treppenviertel in Blankenese. Es kam, wie es kommen musste. Die Dame schaffte es nicht, ihren Mann in die Praxis zu bekommen, weil Stufen und ein fehlender Aufzug dies unmöglich machten. Die Hilfe suchende Dame versuchte es sogar noch schön zu reden, denn die Ärztin hat den Mann kurzerhand auf dem Gehweg untersucht und das fand sie sehr entgegenkommend. Meine Sprach- und Fassungslosigkeit ob soviel Ignoranz seitens der Krankenkasse können sie sich sicherlich denken. Wenn wir wirklich wollen, dass Menschen mit Handicaps die gleichen Rechte wie alle anderen in Deutschland bekommen, dann müssen wir endlich damit anfangen vollständige Barrierefreiheit umzusetzen.

 

Damit würden wir aber nur einen Teil der Problemlagen erledigen. Viele Menschen mit Handicaps haben multiple Behinderungen und gesundheitliche Probleme. Sie sind zum Teil kaum in der Lage, ihre Befindlichkeiten zu artikulieren und können komplexe Therapien allein kaum umsetzen. In Hamburg hat man diesen Umstand erkannt und begonnen, Lösungen anzubieten. Im Krankenhaus Hamburg-Alsterdorf gibt es eine spezielle Abteilung für Menschen mit Behinderungen, in der die notwendigen Fachkapazitäten von Ärzten zusammengezogen werden. So können viel besser Diagnosen gestellt und Therapien aufeinander abgestimmt werden. Im Kreis Pinneberg ist eine solche Einrichtung nicht vorhanden. Es wäre übrigens nicht zwingend notwendig ein solches Angebot in einem Krankenhaus vorzuhalten. Auch ein Ärztezentrum, in dem alle Ärzte gemeinsam-neben ihrer eigenen Praxis-  eine spezielle Praxis für Menschen mit Behinderungen führen, könnte sehr hilfreich sein. Mit einer solchen Einrichtung könnten die Vielzahl von mühsamen Wegen zu Spezialisten wegfallen. Es könnten mehrere Untersuchungen und Behandlungen bei z.B. nur einer Narkotisierung erfolgen. Für Menschen mit Handicaps könnte auch eine Dienstleistung, die organisatorisch für diese Menschen alles übernimmt, sehr dem Ziel einer Teilhabe am Leben dienen. Auch dies könnte in einer solchen Praxis geleistet werden.

 

Wenn wir Inklusion ernst meinen, müssen wir eine Vielzahl von Lösungen neu denken. Es reicht nicht mehr aus, bestehende Hilfesystem nur ein wenig nachzubessern. Hilfe zur Teilhabe muss sich an die Personen, die Hilfe benötigen, ausrichten und nicht nur bestehende Systeme anpassen.

 


Kolumne 10

UN-Behindertenrechtskonvention

 

Vor 10 Jahren, genau am 26.3.2009, trat die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft. Seit dieser Zeit geistert der Begriff immer häufiger durch die Medien. Aber was bedeutet er? Warum gibt es die UN-BRK? Was wurde in Deutschland in den letzten 10 Jahren umgesetzt? Hilft es den Betroffenen?

 

Ursprung der UN-BRK ist die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. In ihr wurden die grundlegenden Rechte aller Menschen auf der Welt fixiert. Nun wissen wir aus verschiedenen Medien, dass aufgestellte Regeln nicht unbedingt mit der tatsächlichen Realität übereinstimmen. Es war aber auch schnell klar, dass die allgemein gehaltenen Regelungen der Menschenrechtscharta nicht ausreichen, um die besonderen Situationen von Menschen mit Behinderungen zu verbessern.

Aus diesem Grunde wurde nach einem langen Diskussionsprozess eine Konvention erarbeitet, die genau beschreibt, was die Umsetzung der Menschenrechte für betroffene Menschen mit Behinderungen bedeutet. Diese UN-BRK wurde im Dezember 2006 von der Generalversammlung der UN beschlossen. Es dauerte dann noch gut zwei Jahre, bis dieses Regelwerk auch für Deutschland Gültigkeit bekam.

 

Wichtig für das Verständnis ist die Tatsache, dass Menschen mit Handicaps keinen unmittelbaren Anspruch aus der UN-BRK herleiten können. Deshalb müssen die Regelungen in nationales Recht umgesetzt werden. Die damalige Bundesregierung hat in einem umfangreichen Beteiligungsprozess auch mit Betroffenen das Bundesteilhabegesetz (BTHG) entwickelt. Mit dem Beteiligungsprozess kam die Bundesregierung einem Grundprinzip der UN-BRK nach, Betroffene für sich selbst sprechen zulassen. Ein weiteres Grundprinzip sollte im BTHG ebenfalls umgesetzt werden, die Freiheit zur eigenen Entscheidung so weit wie möglich zu respektieren. Man will wegkommen von der Behütung von Menschen mit Behinderungen.

 

Mit dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland war verbunden, eine Überwachungsstelle für die Überprüfung der Einhaltung der UN-BRK in Deutschland zu schaffen. Diese Aufgabe hat die Monitoring-Stelle der UN-BRK im Institut für Menschenrechte übernommen. Ebenfalls geregelt wurde eine Berichtspflicht der jeweiligen Bundesregierung zur Umsetzung der UN-BRK. Der zweite Bericht wurde gerade fertiggestellt und wird von der UN geprüft, kommentiert und mit Verbesserungsvorschlägen versehen. Neben dem Bericht der Bundesregierung geben auch Nichtregierungsorganisationen ihren Bericht ab, so dass der UN immer eine umfangreiche Berichterstattung über den Sachstand vorliegt.

 

Nach einhelliger Meinung der Fachleute, stellt das BTHG zwar eine deutliche Weiterentwicklung im Sinne der UN-BRK dar, setzt aber nicht alle Details in unser nationales Recht um. Hinzu kommt, dass die Einführung des neuen Gesetzes zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen soll. Bisher wurden  die ersten zwei Stufen umgesetzt. Der dritte Schritt, mit den wesentlichen Änderungen erfolgt zum 1.1.2020.

 

Ziel von Inklusion soll die Schaffung der Möglichkeit zur jederzeitigen vollständigen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben sein. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betonung auf die Schaffung von Möglichkeiten. Es geht also nicht um den Zwang, an allen Angeboten teilnehmen zu müssen. Genau dieser Unterschied spielt in der Frage nach einer Finanzierung von konkreten Massnahmen aber häufig eine bedeutende Rolle. Wie bei jeder Betrachtung kann ein Glas halb voll oder halb leer sein. Genauso lassen sich die bisherigen Erfolge auf dem Gebiet der Inklusion beschreiben, je nachdem, ob man betroffen ist oder nicht.

 

Zwischenzeitlich können viele gute Bespiele genannt werden, was sich seit der Einführung des BTHG verbessert hat. Dazu zählen nicht nur die höheren Freibeträge beim Selbstbehalt, die Finanzierungssicherheit für die Einrichtung ergänzender unabhängiger Teilhabeberatungsstellen, die Erstellung von Aktionsplänen und vieles mehr. Viele Themen sind aber bestenfalls auf dem Weg. Dazu zählen die medizinische Versorgung, das Mobilitätsangebot und die Wohnproblematik, um nur einige zu nennen. Was sich durch Regelwerke kaum lösen lässt ist aber die tatsächliche Machtausübung bei täglichen Herausforderungen. Da sind die Kranken- und Pflegekassen, die notwendige Hilfsmittel nicht genehmigen oder durch langwierige Genehmigungsverfahren die Geduld der Betroffenen auf eine ungeheure Probe stellen. Da sind die Gespräche mit Verwaltungen, denen man aufgrund der vielen Fachbegriffe und Paragraphen kaum folgen kann. Aber auch die immer wiederkehrende Frage, ob sich eine Geldausgabe lohnt, weil eine geforderte Barrierefreiheit doch nur von wenigen Personen benötigt würde.

 

Im Kreis Pinneberg können die ersten Erfolge bei der Umsetzung der UN-BRK und dem BTHG vorgezeigt werden. So wurde auf Kreisebene und in verschiedenen Kommunen kommunale Beauftragte eingerichtet. Es wurde im Kreis ein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK mit der Beteiligung von mehr als 100 Personen erarbeitet. Seit dem Ende des letzten Jahres gibt es eine unabhängige ergänzende Teilhabeberatungsstelle in Elmshorn für den Kreis und in vielen Themen hat sich die Kreisverwaltung auf dem Weg gemacht, die Möglichkeiten zur Teilhabe stark zu verbessern.

 

Wichtig für Betroffene ist die Einstellung innerhalb der Gesellschaft. Man mag Vorbehalte haben, mit Menschen mit Behinderungen in Kontakt zu treten, weil man nicht weiß, was man richtigerweise tun kann. Oftmals sind es aber auch Vorbehalte wegen der Andersartigkeit. Betroffene würden sich aber wünschen, in ihrer Andersartigkeit akzeptiert zu werden. Und wenn sie nicht wissen, wie sie einen Behinderten ansprechen sollen, dann fragen sie ihn einfach. Sie oder er gibt ihnen bestimmt eine nette Antwort. Der 26. März mag dazu eine gute Gelegenheit sein. 


Kolumne 9

Mobilität

 

Stellen Sie sich einmal vor, sie kommen von einem Theaterbesuch aus Hamburg am Bahnhof Pinneberg an und müssen nach Brande-Hörnerkirchen. Sie nehmen das Taxi für den verbleibenden Rest ihres Weges und werden bis vor ihre Haustür gebracht. Das ist häufig ein gelungener Abend. Für Menschen in einem Rollstuhl besteht diese Möglichkeit nicht. Wenn sie es barrierefrei vom Theater nach Pinneberg geschafft haben, was nie sichergestellt ist, stehen am Bahnhof keine Taxen für Rollstuhlfahrer und sie sind auch nicht vorbestellbar. Die vielleicht noch fahrenden Busse halten nicht vor der Haustür und wenn sie Pech haben, hält der Zug aus Hamburg am falschen Gleis.

 

Mobilität hat für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen eine sehr große Bedeutung. Es ist ein Gefühl von Freiheit und Normalität. Das machen auch die vielen Wünsche an Mobilitätsverbesserungen  von Betroffenen aus dem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mobilität nicht mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gleich zu setzen ist. Ausreichende Mobilität basiert auf einem guten ÖPNV, wird aber um Anrufsammeltaxis, Bürgerbusse, Carsharing, Fahrdienste  und Leihfahradsysteme ergänzt. Nur in einem abgestimmten und zielgenauen Zusammenspiel aller Angebote liegt der Mehrwert.

 

Barrierefreiheit meint dabei aber nicht nur den barrierefreien Einstieg in Bussen und barrierefreie Haltestellen. Barrierefreiheit umfasst funktionierende Aufzüge, barrierefreie Umsteigemöglichkeiten, abgestimmte Fahrpläne und noch vieles mehr. Aus der Betrachtung wird deutlich, dass nur ein Gesamtkonzept im Kreis eine solche Herausforderung meistern könnte. Auftakt  für ein solches Gesamtkonzept könnte ein Mobilitätstag sein, bei dem alle verschiedenen Interessengruppen ihre Bedarfe deutlich machen.

 

Schwerpunkt der Überlegungen wären dabei die Schaffung von Angeboten außerhalb von Linienführungen und außerhalb der Taktfrequenzen des ÖPNV. Auch die Bedienung der ländlichen Regionen müsste dabei im Mittelpunkt stehen. Gute Beispiele gibt es in anderen Kreisen Deutschlands genug. Wichtig dabei ist, dass die politischen Parteien diesen Entwicklungspfad mitgehen und gemeinsam an einem Mobilitätskonzept arbeiten.

 

Bei diesem Thema wird sehr schnell deutlich, dass Menschen mit Behinderungen zwar am meisten unter fehlenden Mobilitätsmöglichkeiten leiden. Sofern für Behinderte dieser Zustand geändert würde, wäre der Nutzen aber sehr viel größer. Der Drang auf die Städte durch Umzug würde abnehmen und damit auch der Druck auf die Wohnungsmärkte. Immobilien außerhalb der Ballungszentren würden ihren Wiederverkaufswert behalten. Der Kreis würde für die Ansiedlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern langfristig attraktiver und selbst für den Touristikbereich sind Vorteile erkennbar.

 

Eine sukzessive Verbesserung, beginnend mit der Neugestaltung des Pinneberger und danach des Elmshorner Bahnhofs, würde sehr zur Attraktivitätssteigerung unseres Kreises beitragen. 


Kolumne 8

Förderzentren vs. Regelschule

 

Die Diskussionen über die Umsetzung von Inklusion in der Bildung sind häufig die heftigsten und stark ideologisch geführten Auseinandersetzungen die zum Thema der Teilhabe von Menschen am gesellschaftlichen Leben stattfinden. Aus der Sicht der Befürworter der  vollständigen inklusiven Beschulung aller Kinder an Regelschulen ist es nur folgerichtig, auf mittelfristige Sicht alle Förderzentren abzuschaffen, weil sie Sinnbild  einer ausschließenden Haltung sind.

 

Auf der anderen Seite stehen die Eltern, deren Kinder einen besonderen Förderbedarf haben, der an Regelschulen aus verschiedenen Gründen nicht erfüllt wird. Sie argumentieren, dass auch ihre Kinder ein Recht auf Förderung der jeweils eigenen Fähigkeiten haben, das man nur in einem geschützten Umfeld, also in einem Förderzentrum, realisieren kann.

 

Was ist nun richtig? Die Antwort lautet: beides. Natürlich ist es sehr wünschenswert, wenn alle Kinder zusammen unterrichtet werden. Behinderte Kinder lernen so von ihren Mitschülern und umgekehrt. Zwingende Voraussetzung dafür sind aber ausreichende Ausstattungen an Sachmittel und Personalkapazitäten. Alle Eltern wissen, dass es daran aber sehr mangelt. Es müssen alle Schulformen so ausgestattet werden, dass eine inklusive Beschulung aller Schüler möglich ist. Das meint auch alle Schularten.

 

Selbstverständlich muss alles versucht werden, um eine inklusive Beschulung zu gewährleisten. Das bedeutet auch eine positive Grundhaltung von allen Lehrern und Schulleitungen in allen Schulformen. Es sollten Schulversuche mit dem Ziel eines Gelingens unternommen werden und nicht um zu beweisen, dass man das Scheitern schon vorher gewußt hätte. Es bedeutet aber auch, dass im Vorfeld sämtliche Überlegungen hinsichtlich möglicher Notfälle gemacht werden müssen, um Lösungen vorzuhalten.

 

Andererseits wird es Schüler geben, die ein sehr geschütztes Umfeld benötigen, um Lernerfolge erzielen zu können. Sie dürfen nicht der verlorene Teil der Gesellschaft sein, weil man unbedingt die Inklusion in Regelschulen umsetzen wollte, aber für diese Kinder keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung stellen konnte. Diese Kinder haben keinen zweiten Versuch, falls ihre Beschulung in einer Regelschule nicht geklappt hat. Für diese Kinder sollten die Förderzentren unbedingt erhalten bleiben, bis die Ausstattung der Regelschulen für eine inklusive Beschulung ausreichend sind.

 

Es wäre der Sache sicherlich dienlich, wenn die Diskussionen eher aus der Sicht der Betroffenen und weniger aus der Grundsätzlichkeit geführt werden würden. Außerdem gibt es gute Möglichkeiten, Inklusion an Schulen zu leben. Dazu sind besonders sogenannte Campuslösungen geeignet. Das bedeutet, dass auf einem Schulgelände Regelschule und Förderzentrum angesiedelt sind. Dadurch sind die räumlichen Gegebenheiten vorhanden, um über viele gemeinsame Projekte einen deutlichen Schritt hin zur  Inklusion von behinderten und nicht behinderten Schülern zu machen. Das neu erschlossene Rehmenfeld in Pinneberg wäre dafür ein idealer Standort, weil auch die bereits in der Nähe bestehende Werkstatt für Menschen mit Behinderungen eingebunden werden könnte.

 

Im Rahmen einer Campuslösung könnte gleichzeitig auch die Einführung eines Ganztagsunterrichts für Förderzentren umgesetzt werden. Bisher sind Förderzentren von einem solchen Angebot ausgenommen. Eltern müssen deshalb auf Vollzeitbeschäftigungen verzichten, obwohl in vielen Fällen die finanziellen Mittel knapp sind und häufig für notwendige Zusatzleistungen für ihre behinderten Kinder benötigt werden.


Kolumne 7

Verwaltungshandeln

 

Nach Kurt Tucholsky ist das deutsche Ideal, hinter einem Schalter zu sitzen und das deutsche Schicksal, vor einem solchen zu stehen. Besser kann man die Situation von Menschen mit Behinderungen kaum beschreiben.

 

Viele Menschen mit Behinderungen benötigen in unterschiedlicher Intensität Hilfen für das tägliche Leben. Wer aber für die Gewährung dieser Hilfen zuständig ist, ist schon die erste Hürde, die übersprungen werden muss. Beliebtes Spiel ist die gegenseitige Verweisung auf Zuständigkeiten zwischen Kranken- und Pflegekasse sowie Eingliederungshilfe und weitere Hilfeträger.  Nicht umsonst ist der  Begriff Gewährung gewählt worden, denn so fühlen sich ausnahmslos alle Antragsteller. Ihnen wird, wenn sie Glück haben und gut reden können, etwas gewährt, was ihnen nach Gesetz zusteht. Nicht selten hat man das Gefühl, dass erst einmal eine Zuständigkeit geklärt werden muss. Wenn dies erfolgt ist, wird der Bedarf erst einmal in frage gestellt. Danach muss geklärt werden, ob alle Antragsteller gleich behandelt werden und nach allen Prüfungen dauert dann ein Vorgang bis zu einer Entscheidung zwei bis drei Monate und bei Widersprüchen noch länger. Nicht selten erfolgen Zusagen erst zu einem Zeitpunkt, wenn eine Behinderung schon weiter fortgeschritten ist und die ursprünglich beantragte Hilfe nicht mehr ausreicht.

 

Betroffene Menschen stellen sich immer wieder die Frage, warum sie für das gleiche Problem bei jedem Hilfeträger einen neuen Antrag stellen müssen. Warum muss bei dauerhaften Behinderungen ein Antrag jährlich gestellt werden? Warum können sich zuständige Stellen nicht untereinander abstimmen?  Vielen Antragstellern wäre bereits sehr geholfen, wenn sofort eine wohlwollende Prüfung erfolgen würde und ggfs. vorläufige Bescheide, bis zur endgültigen Klärung einer Zuständigkeit, ausgestellt werden würden.

 

Wir vergessen immer sehr gern, dass wir die Umwelt bisher so gebaut haben, dass viele Menschen erst dadurch behindert werden. Und nur durch diese Behinderungen benötigen sie Hilfen, die extra bezahlt werden müssen. Nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen bekam man diese Hilfen auch nur, wenn man seine Bedürftigkeit nachweisen konnte. In Kurzform heisst dass, wir haben den öffentlichen Raum mit vielen Barrieren gebaut und lassen die Behinderten deren Überwindung selber bezahlen.

 

In der Politik ist dieser Mangel erkannt worden und erste Schritte zur Veränderung dieses Zustandes wurden eingeleitet. Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) regelt, dass zukünftig die Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilfesystem in mehreren Schritten herausgenommen wird. Somit kann ein Bedarf unabhängig von einer persönlichen Bedürftigkeit gedeckt werden. Darüber hinaus regelt das Gesetz ein sogenanntes Gesamtplanverfahren. In einem solchen Verfahren gibt es für Betroffene nur einen Hilfeträger als Ansprechpartner und falls notwendige Finanzierungsmittel aus anderen Quellen erfolgen müssen, wird dies im Hintergrund geregelt. Ein Mensch mit Behinderungen muss dann nicht mehr bei mehreren Stellen jeweils einen eigenen Antrag stellen.

 

Hilfreich ist die neue Regelung des BTHG für eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung. Bei einer solchen Beratungsstelle können sich Betroffene über die Ansprüche und deren Umsetzung beraten lassen. Im Kreis Pinneberg ist eine solche Beratungsstelle in Elmshorn eingerichtet worden.

 

Menschen mit Behinderungen brauchen oftmals nicht mehr Unterstützung, aber sie wünschen sich, dass sie nicht um jede Kleinigkeit kämpfen und betteln müssen. Die Kreisverwaltung hat sich auf den Weg gemacht, das BTHG sachgerecht umzusetzen und um einen neuen Geist in der Vergabepraxis zu entwickeln.


Kolumne 6

Sportangebote für Menschen mit Behinderungen

 

Sportliche Betätigung ist für vielen Menschen für ihr Wohlbefinden sehr wichtig und wird aus medizinischer Sicht bei jeder Vorsorgeuntersuchung vom Arzt empfohlen. Dies gilt auch für Menschen mit Behinderungen. An dieser Stelle kann einmal mit einem Vorurteil aufgeräumt werden. Menschen mit Behinderungen sind nicht immer gleichzeitig krank. Sie sind aufgrund unterschiedlicher Ursachen in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt und müssen darüber hinaus auch noch mit vielen Barrieren im öffentlichen Raum kämpfen. Eine Krankheit ist aber häufig weder die Ursache noch besteht sie neben einer Behinderung. Deshalb ist es auch für diese Menschen sehr wichtig, sich regelmäßig fit zu halten, um von Krankheiten verschont zu bleiben.

 

In den vergangenen Jahren haben Sportvereine häufig mit rückläufigen Mitgliederzahlen zu kämpfen, weil immer weniger Kinder nachwachsen und eine dauerhafte Vereinsmitgliedschaft mit regelmäßiger Zahlung nicht mehr die Interessen der heutigen Gesellschaft abbilden. Trotzdem hat eine Mitgliedschaft den wesentlichen Vorteil, mehrere Sportarten mit einem Monatsbeitrag ausüben zu können. Inklusive Sportangebote kann man vereinzelt finden. Die Angebote scheitern aber nicht selten an vorhandenen baulichen Gegebenheiten. So sind Sporthallen, besonders die Umkleiden, nicht barrierefrei und auch zugewiesene Hallenzeiten sind häufig von Sportmannschaften belegt, so dass neue Sportangebote zeitlich nicht in ein Angebot passen. Für Vereine ist das Vorhalten eines vielfältigen Angebotes inklusiver Sportarten eine erhebliche Herausforderung.

 

Für Menschen mit Behinderungen besteht also die Problematik einen Verein mit passendem Angebot zu finden. Dies können separate Behindertensportarten sein oder bestehende Angebote, die gleichzeitig von Menschen mit und ohne Behinderung ausgeübt werden. Im einem Verein allerdings mehrere Wahlmöglichkeiten zu haben, ist kaum realistisch.

 

Der Kreis Pinneberg hat vor kurzem einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. In diesem Plan wurde von Beteiligten der Vorschlag gemacht, eine Bonuscard einzuführen. Mit dieser Karte könnten Menschen mit einer Behinderung in einem Verein Mitglied sein und ebenfalls auch die inklusiven Sportangebote der anderen Vereine im Kreis nutzen, ohne dort Mitglied sein zu müssen. Dafür bedarf es zwischen den Vereinen selbstverständlich eines Verrechnungssystems.

 

Die Koordination eines solchen Vorhabens könnte durch den Kreissportverband erfolgen. Erste Gespräche zwischen der Kreisverwaltung und dem Verband haben bereits stattgefunden. Möglicherweise finden sich für ein solches Modell im Kreis weitere Sponsoren, die sich die Inklusion auf die Fahnen geschrieben haben. Ein solches Angebot wäre ein weiterer wichtiger Schritt für einen inklusiven Kreis Pinneberg.


Kolumne 5

Kurzzeitunterbringung für Menschen mit einer Behinderung

 

Können sie sich folgendes Szenario vorstellen? Sie pflegen ihr behindertes Kind jeden Tag mit viel Engagement und Liebe und merken, dass ihnen die Kräfte schwinden. Sie brauchen dringend einmal für zwei Wochen eine Auszeit. Wohin mit ihrem Kind? Welche liebevollen Hände kümmern sich darum? Wenn man im Kreis Pinneberg wohnt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie ihr Kind in ein Altenpflegeheim geben müssen. Es gibt im Kreis kaum Kurzzeitpflegeplätze für junge Menschen mit Behinderungen.

 

Viele Menschen mit einer Behinderung leben unter uns und kommen mit ihrer Situation zurecht, wenn man ihnen etwas zur Hand geht. Das ist auch bei Menschen mit einer psychischen Behinderung so. Allerdings gibt es Situationen, denen diese Menschen nicht gewachsen sind und dann kurzfristig in ein Krankenhaus gehen müssen, um sich akut behandeln zu lassen. Die Krankenkassen drängen aus Kostengründen auf schnelle Entlassung aus einem Krankenhaus. Aber wohin mit diesen Menschen? Wenn sie direkt  in ihre Wohnung zurück gehen, besteht eine große Gefahr eines Rückfalles, weil in der eigenen Wohnung notwendige Begleitung nicht zur Verfügung steht. Sie benötigen eine kurzzeitige Unterbringung in einer fachlich versierten Einrichtung. Im Kreis Pinneberg dazu Fehlanzeige.

 

Jeder Leser, der solche Erzählungen hört, empfindet es als nicht akzeptabel. Häufig hört man den Satz, „das kann doch nicht wahr sein“. Aber es ist wahr und findet so fast jeden Tag statt. Aber warum ist das so, in einem Land, in dem doch alles geregelt scheint. Aber genau das ist unser Problem.

 

Das Unterstützungssystem der öffentlichen Hand ist konkret auf Personen ausgerichtet. In der Fachsprache nennt man das personenzentriert. Das bedeutet, das jede Person, sofern sie Unterstützungsbedarf hat, diesen beantragen kann. Nach entsprechenden Prüfungen werden dann im Einzelfall Mittel gewährt oder abgelehnt. Unterbringungsmöglichkeiten müssen aber gebaut werden, ohne zu wissen, wer genau diese Räume braucht und wie häufig sie gebraucht werden. Weil aber die Personenzentrierung fehlt, gibt es keine Möglichkeit für Investoren, Fördermittel für die Erstellung entsprechender Räumlichkeiten zu bekommen.

 

Ein Investor baut aber nur ein entsprechendes Wohnangebot, wenn er relativ sicher sein kann, dass es auch in Anspruch genommen wird. Seine Kosten laufen auch dann weiter, wenn niemand in den Räumlichkeiten untergebracht wird.

 

So stehen sich die Personenzentrierung und die  Finanzierung eines Angebotes entgegen und bisher ist nicht erkennbar, wie dieses Problem gelöst werden soll. Natürlich gibt es auch Anbieter aus dem sozialen Bereich, die auf eigene Kosten Angebote schaffen. Dafür müssen aber die wirtschaftlichen Verhältnisse der Anbieter ausreichend sein und das ist häufig nicht gegeben. Außerdem ist es nicht akzeptabel, dass wir die notwendige Unterbringung von  Menschen mit Behinderungen auf der Basis von wenigen mutigen Investoren aufbauen.

 

An dieser Stelle ist die Kreispolitik aufgerufen, ausreichend finanzielle Mittel für die Schaffung von temporären Unterrbingungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen bereit zu stellen. Dabei darf der Blick nach Kiel, ob von dort Finanzierungsmittel bereit gestellt werden, nicht im Vordergrund stehen.

 


Kolumne 4

Kommunale Behindertenbeauftragte

 

„Ach du liebe Güte, wozu brauchen wir denn noch ein neues Amt?“ So, oder so ähnlich begegnet es mir, wenn ich mit Menschen über die Einrichtung einer solchen Stelle in dem entsprechenden Rathaus spreche. Eine solche Reaktion kann ich auch gut verstehen, denn wir leben in Deutschland. Wir haben viele Gesetze und Verordnungen, auch für Menschen mit Behinderungen, deshalb müsste doch alles geregelt sein. Mitnichten! Kommunale Beauftrage sind nicht dafür da, das neue Gesetze oder Verordnungen erlassen werden. Sie sollen dafür sorgen, dass sie umgesetzt werden. Diese Arbeit ist viel schwieriger, als so mancher glauben mag.

 

Menschen mit Handicaps haben täglich viele Fragen zu ihrem Lebensumfeld in ihrer Kommune. Warum wurde bei der Neugestaltung einer Verkehrskreuzung nicht gleich ein Leitsystem für sehbehinderte Menschen und Blinde mit eingebaut? Wieso sind die Grünphasen für Fußgänger an Überwegen immer so kurz? Wieso werden Strassenbaustellen immer so eingerichtet, dass Menschen mit Rollstühlen oder Gehwagen daran nicht vorbeikommen? Warum kommt man außerhalb von Öffnungszeiten nicht barrierefrei in ein Rathaus, um an z.B. Ausschusssitzungen teilnehmen zu können?

 

Kommunale Beauftragte für Menschen mit Behinderungen sind erste Ansprechperson für Menschen mit Handicaps, wenn ihr Lebensumfeld außerhalb ihrer  eigenen Wohnung nicht barrierefrei ist. Sie sorgen dafür, dass Entscheidungen vor Ort immer auch die Belange der Menschen mit Behinderungen mit berücksichtigen. Sie schaffen in ihrer Kommune das Verständnis in der Bevölkerung, das die Bedarfe von Menschen mit Handicaps keinen Luxus darstellen, sondern allen Menschen helfen, sich in der Öffentlichkeit sicherer bewegen zu können. Kommunale Beauftragte sind häufig selbst von einer Behinderung betroffen oder sind mittelbar, meistens in der Familie, davon betroffen. Sie sprechen also häufig aus der Sicht, die sie täglich selber erleben.

 

Im gesamten Kreis Pinneberg hat es sehr lange gebraucht, bis es bei den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern zu der Erkenntnis gekommen ist, man brauche wohl doch fachliche unterstützende Kompetenz. Entsprechende Funktionen sind eingerichtet worden in Barmstedt, Uetersen, Rellingen, Halstenbek, Pinneberg und Elmshorn. Damit steht der gesamte Kreis im Vergleich zu den anderen Kreisen in Schleswig-Holstein zwar besser dar, aber noch nicht ausreichend. Alle Kommunen sollten prüfen, wann die Einrichtung einer entsprechenden Funktion erfolgen kann.

 

Menschen mit Behinderungen wenden sich in ihrer Verzweiflung häufig an kommunale Beauftragte, wenn sie in ihrer persönlichen Situation Unterstützung benötigen. Und so gern Beauftragte auch in jedem Einzelfall helfen würde, dies ist für mich natürlich nicht leistbar, denn die persönlichen Voraussetzungen und Anforderungen sind oft  sehr verschieden. Das führt nicht selten zu Verärgerung bei den Betroffenen.

 

Hilfe gibt es in diesen Fällen aber auch. Neben der Beratungspflicht der Hilfeträger gibt es seit kurzer Zeit die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) im Kreis. Dort findet man Unterstützung bei der Frage, worauf man Anspruch hat und wie man den Anspruch umsetzen kann.


Kolumne 3

Leitbild Inklusion für den Kreis Pinneberg

 

Über 100 Personen haben in 2017 in mehr als 50 Workshops den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) erarbeitet. Herausgekommen sind 55 sog. Handlungsaufforderungen, die vorrangig umgesetzt werden sollen, weil ansonsten Menschen mit Behinderungen weiterhin jeden Tag in besonderem Maße behindert werden. Weitere rd. 200 Handlungsaufforderungen wurden darüber hinaus definiert und sind ebenfalls wichtig, an ihrer Umsetzung wird aber erst später gearbeitet. Die Politik und die Verwaltung im Kreis weiß somit genau, wo der Schuh drückt. Jetzt kommt die Zeit zum Handeln.

 

Es bleibt die Frage offen,  warum es überhaupt einen Aktionsplan geben muss, um Mängel aufzuzeigen. Wieso wurde z.B. nicht bei jeder bisherigen Entscheidung gleich darauf geachtet, alles barrierefrei zu machen? Unser Grundgesetz und die UN-BRK verpflichten uns doch alle dazu. Noch viel wichtiger aber ist die Frage, wie schaffen wir es, zukünftige Entscheidungen so zu treffen, dass keine neuen Barrieren entstehen? Jede nachträgliche Reparatur ist bekanntlich teurer, als es gleich richtig zu machen. Menschen mit Behinderungen wollen keinen permanenten Reparaturbetrieb.

 

Eine gute Möglichkeit zukünftig Fehler zu vermeiden, sind sicherlich kommunale Beauftragte für Menschen mit Behinderungen, die mindestens in jeder größeren Kommune vorhanden sein sollten. Damit hätte die Politik und Verwaltung vor Ort kompetente Ansprechpersonen, die in konkrete Entscheidungen und Handlungen einbezogen werden können.

 

Zwingend ist aber für den Kreis die Festlegung eines strategischen Zieles für Inklusion. Danach hätten sich alle Entscheidungen der Politik und der Verwaltung zu richten. Es gibt bisher bereits strategische Ziele zu verschiedenen Themen (u.a. Bildung oder soziale Sicherheit). Es bedarf aber dringend einer Nachbesserung, um der Umsetzung des Themas Inklusion im Kreis entsprechenden Nachdruck zu verleihen.

 

Aber alle wissen, ein strategisches Ziel allein schafft noch keine Veränderung. Deshalb muss es für den Kreis Pinneberg zusätzlich ein Leitbild Inklusion geben. Mit einem Leitbild wird konkret beschrieben, was unter dem strategischen Ziel zu verstehen ist. Dieses Leitbild ist dann Grundlage für alle Entscheidungen der Kreispolitik und der Kreisverwaltung und bildet die Klammer für den Aktionsplan. Viele Städte und Kreise in Deutschland haben sich ein Leitbild für Inklusion gegeben, weil man erkannt hat, dass die alltäglichen Behinderungen für eine bestimmte Menschengruppe anders nicht in den Griff zu bekommen sind.

 

Die Politik ist am Zug. Nach der Kommunalwahl und den Entscheidungen über die Besetzung der Ausschüsse muss jetzt die harte Arbeit folgen. Ein Vorschlag für eine Formulierung über das strategische Ziel Inklusion liegt den Parteien vor. Wie ein Leitbild formuliert sein könnte, ist den Gremien ebenfalls zugeleitet worden. Das ist jetzt der Prüfstein. Wir werden sehen, wie ernst die Parteien ihre Aussagen von vor der Wahl nehmen, denn alle bewerteten die Ergebnisse des Aktionsplanes als sehr wichtig und wollen in den nächsten vier Jahren die Umsetzung der Massnahmen unterstützen.


Kolumne 2

Unabhängige Teilhabeberatung
Bekomme ich eine Unterstützung an meinem Arbeitsplatz? Wer bezahlt den Umbau unseres PKW, damit wir unser behindertes Kind transportieren können? Warum ist der mir zugewiesene Grad der Behinderung so gering? Welcher Arzt hat sich auf Menschen mit Behinderungen spezialisiert? Diese und viele ähnliche Fragen stellen sich Menschen mit Behinderungen jeden Tag und wissen sich nicht zu helfen. Erschwerend kommt hinzu, viele Informationen bekommt man nur durch langes Suchen im Internet heraus. Wenn die eigene Behinderung einen Zugang zum Internet allerdings erschwert oder nicht zulässt, sind diese Menschen ausgeschlossen und werden in der Gesellschaft behindert.
Diese Dilemma hat der Gesetzgeber erkannt und im neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) die Einrichtung von unabhängigen Teilhabeberatungsstellen vorgesehen. Damit es funktioniert, hat das Sozialministerium des Bundes Geldmittel zur Verfügung gestellt, um zunächst für drei Jahre die Finanzierung der Kosten zu 95% sicherzustellen. Die restlichen Mittel stellt der Kreis zur Verfügung. Die Alzheimergesellschaft hat sich bereit erklärt, die unabhängige Teilhabeberatungsstelle für den Kreis Pinneberg aufzubauen und zu betreiben. Die Alzheimergesellschaft hat bereits Erfahrung mit unabhängiger Beratung. Sie betreibt den Pflegestützpunkt für das Kreisgebiet in Pinneberg.
Die Beratungsstelle wird in Elmshorn errichtet und barrierefrei erreichbar sein. Für mobiliätseingeschränkte Menschen wird es ein aufsuchendes Beratungsangebot geben. Eine große Herausforderung wird darin bestehen, die Beratungen vorrangig durch Personen durchzuführen, die selber eine Behinderung haben und sich deshalb viel besser in die einzelnen Problemlagen hineinversetzen können. Diese Form der Beratung wird in Fachkreise Peer Counseling genannt, besser bekannt unter dem Begriff Selbsthilfegruppe. Es gilt jetzt ausreichend Personen zu finden, die kurzfristig durch Qualifizierung die anspruchsvolle Aufgabe der Beratung übernehmen zu können.
Die neuen Teilhabeberatungen ergänzen die bisherigen Strukturen, die auch weiterhin zur Verfügung stehen. Sie sollen im Vorfeld zu einem Antrag darüber aufklären, welchen Anspruch jeder einzelne geltend machen kann und welcher Kostenträger für welche Leistung zuständig ist. Wünschenswert ist eine stärkere Inanspruchnahme von persönlichen Budgets durch Menschen mit Handicaps. Dadurch treten sie selber als Auftraggeber für die jeweilige Leistungsinanspruchnahme auf und füllen somit das Selbstbestimmungsrecht mit Leben. Nach dem Bundesteilhabegesetz steht das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen im Zentrum aller Überlegungen. Neben der Beratung von Menschen mit Handicaps und deren Familien soll auch der Aufbau eines Netzwerkes von Selbsthilfegruppen unterstützt werden. Damit wird sichergestellt, dass auch nach Wegfall der Förderung des Bundes ein funktionierendes Beratungsangebot weiterhin besteht.
Überwacht wird die Arbeit der Beratungsstelle durch einen Beirat unter Vorsitz des Behindertenbeauftragten des Kreises und durch regelmäßige Überprüfung durch das Sozialministerium des Bundes. Voraussichtlich ab 1.9.2018 können sich dann alle Hilfesuchende an die unabhängige Teilhabeberatungsstelle in Elmshorn wenden. 

Kolumne 1

Schaffung von Arbeitsplätzen von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen
 
„Jeder Mensch braucht eine Aufgabe, die ihm Struktur, Zugehörigkeit und Wertschätzung gibt“. Dieses Zitat von Helmut Glaßl hat eine ganz besondere Bedeutung für Menschen mit Handicaps. In der heutigen schnelllebigen Gesellschaft bemisst sich der Wert eines Menschen häufig daran, was er oder sie beruflich macht. Man ist nur etwas wert, wenn man einen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Diese, häufig unausgesprochene, Anforderung verspüren Menschen mit Handicaps in hohem Maße. Sie haben nicht nur mit den Auswirkungen ihrer Behinderung zu kämpfen, sie fühlen sich auch häufig nicht als wertvolles Mitglied der Gesellschaft. „Sie leisten ja nichts“, heisst es dann oft. Umso wichtiger ist es, dass alle in der Gesellschaft, ob Arbeitgeber oder Kollege oder Kollegin, dieses Gefühl nicht entstehen zu lassen. Arbeitgeber sind aufgefordert Arbeitsplätze für Menschen mit Handicaps zur Verfügung zu stellen. Auch Menschen mit Handicaps brauchen eine Tagesstruktur und eine Aufgabe.
Der Gesetzgeber hat schon früher erkannt, wie wichtig ein entsprechender Tagesablauf ist und deshalb bestimmte Einrichtungen geschaffen. Dies sind Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. In diesen Werkstätten sollen Menschen mit Handicaps auf der ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Es können also nur Menschen in den Werkstätten aufgenommen werden, die dafür geeignet sind. Sie werden dort angelernt und auf ihre Aufgabe vorbereitet. Aber bei diesen Tätigkeiten dort ist es wie ein Schwimmen lernen im Nichtschwimmerbecken. Wichtig ist auch der reale Versuch im tiefen Becken. Dafür benötigen die Werkstätten Außenarbeitsplätze bei Unternehmen. Die Menschen mit Handicap bleiben in einer Werkstatt angestellt, arbeiten aber in einer Firma. Sie sollen herausfinden, ob sie eine entsprechende Arbeit leisten können.
Die Kreisverwaltung Pinneberg hat beschlossen fünf Arbeitsstellen neu zu schaffen, um Personen mit Handicaps in verschiedenen Bereichen der Verwaltung Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Ziel ist immer die vollständige Übernahme der Personen in ein Angestelltenverhältnis. 
Besondere Bedeutung hat häufig die nicht bestehende Berufsausbildung von Menschen mit Handicaps. Üblicherweise werden nur vollständig ausgebildete Personen eingestellt. Bei der Einstellung von Menschen mit Handicaps verhält sich dies anders: Es wird ein Arbeitsplatz gesucht oder geschaffen werden, der den Fähigkeiten des behinderten Menschen entspricht. Eine Berufsausbildung ist dann nicht mehr notwendige Voraussetzung. 
Menschen mit Behinderungen bringen aber auch häufig eine Berufsausbildung oder mindestens viele Fähigkeiten mit. Mit der Herausforderung, das eigene Leben trotz Behinderung zu organisieren zeigen sie ihre Belastbarkeit und ihr Organisationsvermögen. Unternehmen, die bewusst Menschen mit Handicaps eingestellt haben, berichten von großer Zufriedenheit auf beiden Seiten. Jeder neu geschaffene Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderungen macht unsere Gesellschaft ein wenig menschlicher. Ein Versuch ist es immer wert.