Kommentare des Beauftragten für Menschen mit Behinderungen

Wir dürfen die besonders Schutzbedürftigen nicht verlieren

Seit dem Interview von Wolfgang Schäuble im Tagesspiegel wird in der Öffentlichkeit zunehmend über Lockerungen des shut down aufgrund der Corona-Pandemie diskutiert. Dies ist in einer lebendigen Demokratie sehr wichtig und sollte im Ergebnis zu einem verantwortlichen Umgang mit Lockerungsmaßnahmen führen.

 

Deutlich wird in diesen Tagen aber auch, dass Personengruppen mit besonderen Herausforderungen (z.B. Menschen mit Behinderungen) wieder einmal auf die Beachtung auch ihrer Rechte hinweisen müssen.

 

Wenn Schulen sukzessive wieder geöffnet werden, dann muss das für alle Kinder in gleichem Maße gelten. Dazu zählen auch Kinder mit Handicaps, die eine Schulbegleitung benötigen oder auf einen Fahrdienst angewiesen sind. Nur weil für Kinder mit Handicaps mehr organisiert werden muss, als für andere Kinder, darf dies kein Selektionskriterium sein, ob jemand zur Schule gehen darf oder nicht. Kinder in Förderzentren sind ebenfalls wieder in den Schulbetrieb zu integrieren. Es darf nicht aus falsch verstandenem Schutzinteresse eine besondere Schutzglocke über diesem Personenkreis ausgebreitet werden. Dies wäre eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, die nach dem Grundgesetz nicht zulässig ist.

 

Natürlich ist es schwierig, entsprechende Hygienemaßnahmen zu planen und deren Durchsetzung sicherzustellen, aber nur weil es schwierig ist, kann es nicht unterbleiben. Auch darf den einzelnen Einrichtungen kein Ermessensspielraum verbleiben, um eine vordergründig verständliche Entscheidung einer Verlängerung von bestehenden Einschränkungen aus gesundheitlichen Gründen zu ermöglichen. Dies geschieht aktuell bei der Frage der Öffnung von Förderzentren. Die Landesregierung hat kein verpflichtendes Datum für eine Öffnung festgelegt, so dass die Entscheidung bei jeder einzelnen Schule liegt.

 

Sicherlich wird nicht jeder über eine Lockerung glücklich sein und den Gesundheitsschutz höher bewerten wollen. Deshalb sollte die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Lockerungsmaßnahmen bei den Betroffenen und deren Betreuern liegen. Diese Freiwilligkeit bedeutet andererseits aber auch, dass die Einrichtungen dafür Sorge tragen, dass die Menschen, die aus besonderen Schutzgründen die Einrichtungen nicht besuchen können, nicht verloren werden. Eine regelmäßige zielgenaue Kontaktaufnahme muss selbstverständlich aufrechterhalten werden.

 

Aber die Öffnung von Schulen ist nicht alles. Auch Werkstätten für Menschen mit Behinderungen müssen sehr zeitnah wieder einem regelgerechten Betrieb zugeführt werden. Man möge bitte nicht vergessen, dass es sich um den Arbeitsplatz von Menschen mit Behinderung handelt und auch andere Firmen nicht geschlossen sind. Sicherlich lässt sich Home-Office für Menschen in Werkstätten kaum realisieren und insofern mag eine temporäre Schließung unumgänglich sein. Eine sukzessive Öffnung muss sich aber an den Möglichkeiten orientieren und nicht daran, dass absolut sicher eine Ansteckungsgefahr ausgeschlossen werden kann.

 

Eine der wichtigsten Herausforderungen ist eine Regelung für Menschen in Wohneinrichtungen. In den letzten Wochen war ein familiärer Kontakt – außer über digitale Medien – nicht möglich. Dies darf aber nur eine besondere Ausnahme bleiben und muss so schnell wie möglich wieder in einen regulären Zustand zurückgeführt werden.

 

Eine Lockerung von Beschränkungen würde sich nicht nur unmittelbar auf die Betroffenen auswirken. Viele Familien haben in den letzten Wochen für die Betreuung ihrer behinderten Angehörigen und Kinder heroisches geleistet. Auch diese Menschen brauchen zur eigenen Gesunderhaltung unbedingt sehr zeitnah eine Rückkehr ihrer betreuten Personen in einen strukturierten Tagesablauf mit professioneller Betreuung.

 

Natürlich ist es selbstverständlich, dass bei allen Lockerungsmaßnahmen die Hygiene in den Mittelpunkt der Schutzmaßnahmen gestellt werden. Es wird für viele Menschen mit Behinderungen eine besondere Herausforderung sein, damit umzugehen, aber durch eine Unterstützung von Begleitpersonen ist dies sicherlich möglich.

 

Der Umgang mit den Lockerungsmaßnahmen wird uns zeigen, wie ernst man es mit der Inklusion von Menschen mit Behinderungen wirklich meint.


Restaurants nicht für alle?

Der Presse konnte man entnehmen, dass in Hamburg Restaurants dazu übergehen, zumindest zu bestimmten Zeiten, Kindern bis zu einem gewissen Alter den Zutritt zu verweigern. In Leserbriefen undKommentaren der Zeitungen wird ein gewisses Verständnis zu solchen Massnahmen erklärt, die „Schuld“ den Eltern, die ihre Kinder nicht „gesellschaftsfähig“ erziehen können, zugewiesen und deutlichdarauf hingewiesen, dass natürlich jeder Privatmensch entscheiden könne, für wen er oder sie ihr Restaurant öffnen. Wieso kommt jetzt ein Beauftragter für Menschen mit Behinderungen dazu, diesesThema aufzugreifen? Die Antwort ist einfach.

 

Sobald wir anfangen bestimmte Menschen, aus welchen Gründen auch immer, von irgendetwas auszugrenzen wird es nicht lange andauern, bis auch andere Gruppen von irgendetwas ausgegrenzt werden. Es gibt z.B. immer jemanden, der es als Störung empfindet, wenn Menschen mit Handicaps im Urlaub am Nebentisch sitzen und möglichweise beim Essen „unangemessene“ Geräusche von sich geben oder eventuell etwas sabbern. Es ist dann nicht weit, wenn man sich von Kinderlärm gestört fühlt, auch in seinem ästhetischen Empfinden gestört zu fühlen, wenn der Anblick ungewöhnlich ist. Unser Grundgesetzt verbietet aus gutem Grund eine Ungleichbehandlung, denn jeder Mensch ist an jedem Ort willkommen und hat das Recht am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und dies gilt besonders an den Orten, die von der Öffentlichkeit leben, wie z.B. Restaurants. Währet den Anfängen und lassen wir es nicht dazu kommen, dass der Wert eines Menschen von seiner Passgenauigkeit in den gesellschaftlichen Mainstream abhängig gemacht wird.

Wahlbenachrichtigungen in einfacher Sprache

Ein Aufschrei geht durch das schleswig-holsteinische Wahlland. Die Wahl-Benachrichtigungen sind in einem gewöhnungsbedürftigen Deutsch geschrieben. Sicherlich ist immer notwendig zu prüfen, ob etwas gut gelungen oder noch verbesserungsbedürftig ist, um ein Ziel zu erreichen. Eine Diskussion um Qualität macht unsere Leistungen besser und sinnvoller. Die Auseinandersetzung in der Presse betreffen aber überwiegend das ob und das ist inakzeptabel.

 

Inklusion hat zum Ziel alle Menschen unserer Gesellschaft, auch die mit unterschiedlichen Handicaps, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Mit einer solchen Aussage findet man kaum jemanden, der das nicht gutheißen würde. Die Kehrseite der Inklusionsmedaille heißt aber auch, dass die grosse Mehrheit unserer Gesellschaft auf lieb gewonnene Gewohnheiten und etablierte Privilegien verzichten muss - eine Gelingensbedingung für eine erfolgreiche Inklusion. 

Das durch die UN-Behindertenrechtskonvention und unserem Grundgesetz postulierte Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen sowie dem Postulat der vollständigen und wirksamen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfordert von allen ein ausgeprägtes Maß an Kompromissfähigkeit und Aufklärungsarbeit. Dabei stehen die Vertreter der Verwaltung und der Politik ganz vorn, um möglichen Unverständnissen in der Bevölkerung entgegen zu treten. Unvereinbar mit dieser Rolle sind Äußerungen von Bürgermeistern, die sich über ein nicht korrektes Deutsch in der Wahlbenachrichtigung echauffieren, diese Meinung pressewirksam verbreiten und bei aufkommender Kritik Deutschlehrer an Gymnasien als Referenz für die Richtigkeit ihrer Meinung aufführen. Eine solche öffentlich gemachte Haltung ist Wasser auf die Mühlen von Leserbriefschreibern, die infrage stellen, ob Menschen, die eine klassische Wahlbenachrichtigung nicht verstehen würden, überhaupt entscheiden können oder sollen, wen sie wählen.

 

Nicht nur Politik und Verwaltung haben einen klaren Auftrag grundgesetzliche Rechte aller zu vertreten. Auch die Vertreter von Presse sollten sich ihrer Rolle bewußt sein. Eine Berichterstattung über die ablehnende Haltung der Wähler zu einer Wahlbenachrichtigung in einfacher Sprache ist wichtig und gewünscht, aber ein Kommentar des Chefredakteurs des Hamburger Abendblattes, in dem er sein Unverständnis über die Wahlbenachrichtigung zum Ausdruck bringt, ist im besten Fall nur unbedacht, zeigt aber auf alle Fälle, dass selbst bei Menschen in etablierten Positionen noch erheblicher Entwicklungsbedarf besteht.